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Rules of Design – Vol.7 – Von Hurenkindern und Schusterbuben

Weiß' nicht woher ich komm', noch wohin ich geh'!*

Bild zeigt die Typographie von Zeuge weder Hurenkinder noch Schusterjungen
Designerregel Nummer 7: Zeuge weder Hurenkinder noch Schusterjungen

Typographie ist ein essentieller Bestandteil der grafischen Arbeit. Leider ist sie in den letzten Jahren doch etwas in den Hintergrund der handwerklichen Arbeit gerückt.

Zwar gibt es immer mehr rein typographisch gestaltete Werke, gleichzeitig hat aber die Qualität klassischer grafischer Layouts, wie zum Beispiel Magazine, White Papers oder Inserate, auf typographischer Ebene eher abgenommen.

Ein Indiz dafür sind die immer öfter auftretenden Hurenkinder und Schusterjungen. Dabei wäre es heutzutage soviel einfacher, diese zu vermeiden, als es noch vor der digitalen Revolution im grafischen Gewerbe war. Trotzdem versäumen viele Kreative hier, ihrer Verantwortung nachzukommen, und schon im Vorfeld Einstellungen vorzunehmen, dass dies gar nicht passieren kann. Dass darüber hinaus eine manuelle Kontrolle erfolgen sollte, möchte ich gar nicht erst erwähnen.

Hurenkinder und Schusterjungen – Was ist das eigentlich?

Aber jetzt erstmal die Erklärung für alle Nichtgrafiker (und alle Jungspunde, die Grafik nicht mehr als klassisches Handwerk erlernten), worüber wir da eigentlich überhaupt sprechen.

 

Hurenkind und Schusterjunge sind sogenannte Satzfehler, die den Lesefluss stören und darüber hinaus auch noch unästhetisch sind.

 

Ein Hurenkind entsteht, wenn die letzte Zeile eines Absatzes zugleich die erste Zeile einer neuen Spalte oder – am allerschlimmsten – einer neuen Seite ist.

Die Bezeichnung Hurenkind wurde geprägt, weil die „allein“ stehende Zeile ihre „Herkunft“ – den inhaltlichen Zusammenhang – verloren hat. Im angelsächsischen Sprachgebrauch wird sie „widow“ genannt, der Begriff „Witwe“ setzt sich zwischenzeitlich auch im deutschsprachigen Raum immer mehr durch. Hurenkinder sind unbestreitbar schwere handwerkliche Fehler im Schriftsatz ( a.k.a. Typographie), vor allem wenn die Zeile auf die Rückseite einer Seite gerät. Das bedeutet nämlich, dass diese Seite mit einem komplett aus dem Zusammenhang gerissenen Satzfragment beginnt. Das stört nicht nur den Lesefluss, sondern stört auch das Erscheinungsbild erheblich. Ganz schlimm wird es, wenn die Absätze auch noch mit einem erhöhten Durchschuss abgetrennt sind, d. h., dass der Zeilenabstand zwischen zwei Absätzen weiter ist, als der normale Zeilenabstand. Da kann sogar passieren, dass zwei Zeilen, die streng genommen kein Hurenkind mehr wären, optisch als solches wahrgenommen werden.

Foto zeigt Beispiel eines zweizeiligen Hurenkindes
Gutes Beispiel für schlechten Satz: Zwar stehen zwei Zeilen am Seitenanfang, aber die zweite Zeile besteht nur aus einer kurzen Silbe, und durch den vergrößerten Zeilendurchschuß entsteht ein alleinstehender, nicht aussagekräftiger Textblock. So nicht!
Bild zeigt Beispiel eines Schusterjungen
Schusterjunge bei einem abgedruckten Interview.

Als Schusterjunge bezeichnet man eine am Seiten- oder Spaltenende stehende Zeile, die zugleich den Beginn eines neuen Absatzes darstellt.

Auch hier setzt sich mehr und mehr die von dem angelsächsischen „orphan“ kommende Bezeichnung „Waise“ durch. Auch Schusterjungen sind natürlich schwere Handwerkliche Fehler, fallen aber zumeist optisch weniger auf, da sie ja doch in Leserichtung am Seiten- oder Spaltenende liegen. Wenn aber Absätze, wie in modernen Layouts durchaus üblich, eingezogen werden (d. h., dass die erste Zeile eines neuen Absatzes ein wenig weiter rechts beginnt), fällt dieser Fehler dann doch wieder gravierender aus.

Für beide Satzfehler gilt, dass sie besonders gravierend sind, wenn es nur ein Wort oder gar nur eine Silbe betrifft, die in der Zeile stehen – ein absoluter Super-GAU der Typographie!

Vermeiden wäre einfach

Was mich persönlich an diesen handwerklichen Fehlern so besonders stört, ist die Tatsache, dass sie wirklich einfach vermeidbar wären. Dazu braucht es nämlich nur drei Dinge:

  • Erstens das Wissen darüber, dass es sich überhaupt um einen handwerklichen Fehler handelt
  • Zweitens das Beherrschen seiner kreativen Werkzeuge, im konkreten Fall seiner Layoutprogramme
  • Drittens eine optische Endkontrolle durch den Layouter/Grafiker/Texter

Egal ob man mit InDesign, Illustrator oder X-Press arbeitet, jedes professionelle Layout- oder Grafikprogramm erlaubt das einstellen spezieller Absatzformate, die automatisch erkennen, wenn es zu einem Hurenkind oder Schusterjungen kommt. Werden solche Einstellungen schon im Vorfeld fix eingestellt, können diese Satzfehler einfach nicht mehr passieren.

Sehr oft höre ich aber, dass Texte nur via Word oder ähnlicher Texteditoren bereitgestellt werden, und man sich den Redakteuren oder dem Text des Kunden „beugen“ muss, und sich das manchmal gar nicht anders ausgeht. Dafür fehlt mir persönlich jedes Verständnis.

Zum einen liegt es im Interesse jedes Beteiligten, qualitativ hochwertige Arbeit abzuliefern – v.a. auch im Interesse des Kunden. Zum anderen ist es auch die Aufgabe des Grafikers und/oder Layouters, das Layout entsprechend der vorgegebenen Bedingungen anzupassen und richtig zu machen. Wer das nicht beherrscht, leistet schlechte Arbeit.

 

Zugegebenermaßen leidet die Qualität natürlich auch dadurch, dass auf Grund des Kostendrucks das Lektorat mehr und mehr eingespart wird. Gerade dieses hatte aber in der Vergangenheit mit alternativen Trennungen, kleinen Textänderungen oder Neuformulierungen dazu beigetragen, ein harmonisches Bild im Bereich der Typografie entstehen zu lassen. Zum Thema Lektorat und Korrekturlesen gibt es aber dann noch einen eigenen Blog in dieser Serie.

Fazit

  • Um typografische Fehler zu erkennen muss ich zuerst die Regeln beherrschen.
  • Wer schon bei der Erstellung des Layouts die Möglichkeit von Hurenkindern und Schusterjungen eliminiert spart sich unnötige Arbeit und dem Kunden damit Zeit und Geld.
  • Redakteure und Texter sollten sich öfter an der Regel „Less is More“ orientieren ;-)

 Im nächsten Blog sprechen wir über eines der am heißesten zwischen Kunden und Kretiven diskutierten Themen – den Weißraum! Dieser ist ja oft hart umkämpft, Grafiker wollen ihn bestehen lassen, Kunden haben meist das Gefühl, "da bringen wir noch was unter" :-) Aber dazu mehr nächste Woche!

 

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Über den Autor:

Sascha Ladurner ist bekennender Grafik-Nerd. Er ist außerdem selbsternannter Fußballprofessor.

Beruflich beschäftigt er sich mit Werbung und Design und berät Unternehmen über die vielfältigen Möglichkeiten des Werbeuniversums.

Er klettert leidenschaftlich gerne, hört Iggy Pop und leidet mit Wacker Innsbruck.

Kontakt: office@quickdraw.at

*Überschrift:

Abwandlung des typografischen Merksatzes: Ein Hurenkind weiß nicht woher es kommt, ein Schusterjunge nicht, wohin er geht.